Neue Erkenntnisse zur medikamentösen Behandlung von Personen mit pädophiler Störung
25. Mai 2020
Der vorliegende Beitrag basiert auf einer kürzlich veröffentlichten randomisierten klinischen Studie von Landgren et al. (2020), die die Wirksamkeit des GnRH-Antagonisten Degarelix bei Männern mit pädophiler Störung untersuchte. Pädophile Störung ist definiert als wiederkehrende sexuelle Anziehung zu präpubertären Kindern, verbunden mit Leidensdruck oder negativen Konsequenzen. Die Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch stellt eine große gesellschaftliche Herausforderung dar, für die bisher nur begrenzt evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Diese Studie liefert wichtige neue Erkenntnisse für Fachkräfte im Bereich der Prävention und Therapie.
Hauptergebnisse:
- Wirksamkeit von Degarelix: Die Studie zeigte, dass eine einmalige Dosis von 240 mg Degarelix die Risikofaktoren für sexuellen Kindesmissbrauch bei hilfesuchenden Männern mit pädophiler Störung signifikant reduzierte. Die Wirkung war sowohl kurzfristig (nach 2 Wochen) als auch mittelfristig (nach 10 Wochen) nachweisbar. Der Composite Risk Score, der verschiedene dynamische Risikofaktoren erfasst, sank in der Behandlungsgruppe von durchschnittlich 7,4 auf 4,4 Punkte, während er in der Placebogruppe nur geringfügig von 7,8 auf 6,6 Punkte abnahm.
- Schneller Wirkungseintritt: Im Gegensatz zu bisherigen Medikamenten, die oft erst nach 1-3 Monaten ihre volle Wirkung entfalten, zeigte Degarelix bereits nach 2 Wochen eine deutliche Risikoreduktion. Dies könnte insbesondere in akuten Krisensituationen von großer Bedeutung sein.
- Differenzierte Wirkung auf Risikofaktoren: Die Studie untersuchte verschiedene Risikobereiche und fand signifikante Verbesserungen in den Domänen „pädophile Störung“ und „sexuelle Präokkupation“. Keine signifikanten Unterschiede zeigten sich hingegen in den Bereichen „beeinträchtigte Selbstregulation“, „geringe Empathie“ und „selbsteingeschätztes Risiko“.
- Nebenwirkungen und Patientenerfahrungen: Die häufigsten Nebenwirkungen waren vorübergehende Reaktionen an der Injektionsstelle (88% in der Behandlungsgruppe) und erhöhte Leberenzymwerte (44% in der Behandlungsgruppe). Zwei Teilnehmer berichteten von verstärkten Suizidgedanken. In qualitativen Interviews berichteten 77% der Behandlungsgruppe von positiven Effekten auf ihre Sexualität, während 89% von negativen körperlichen Auswirkungen sprachen.
Praktische Implikationen
Für Fachkräfte in der Prävention und Behandlung von Personen mit pädophiler Störung ergeben sich aus dieser Studie mehrere wichtige Erkenntnisse:
- Degarelix könnte als schnell wirksame Behandlungsoption für akute Krisensituationen in Betracht gezogen werden, in denen eine rasche Risikoreduktion erforderlich ist.
- Die differenzierte Wirkung auf verschiedene Risikofaktoren unterstreicht die Notwendigkeit eines multimodalen Behandlungsansatzes. Während Degarelix offenbar effektiv sexuelle Präokkupation und pädophile Symptome reduziert, sollten andere Risikofaktoren wie beeinträchtigte Selbstregulation oder mangelnde Empathie durch zusätzliche psychotherapeutische Interventionen adressiert werden.
- Die hohe Rate an berichteten positiven Effekten auf die Sexualität deutet darauf hin, dass Degarelix nicht nur das Risikoverhalten reduziert, sondern auch den subjektiv empfundenen Leidensdruck der Betroffenen lindern kann. Dies könnte die Behandlungsmotivation und -adhärenz erhöhen.
- Das Auftreten von verstärkten Suizidgedanken bei zwei Teilnehmern mahnt zur Vorsicht. Ein engmaschiges Monitoring der psychischen Verfassung, insbesondere bei Patienten mit vorbestehenden depressiven Symptomen, ist unerlässlich.
- Die hohe Prävalenz depressiver Symptome in der Stichprobe (35%) unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden psychischen Diagnostik und ggf. begleitenden Behandlung komorbider psychischer Störungen.
Fazit
Die Studie von Landgren et al. (2020) liefert vielversprechende Ergebnisse zur Wirksamkeit von Degarelix in der Behandlung von Männern mit pädophiler Störung. Sie eröffnet neue Möglichkeiten für eine schnell wirksame medikamentöse Intervention, die das Risiko für sexuellen Kindesmissbrauch reduzieren kann. Gleichzeitig zeigt sie die Komplexität der Behandlung auf und unterstreicht die Notwendigkeit eines umfassenden, individualisierten Therapieansatzes. Für Fachkräfte in der Prävention und Behandlung bietet diese Forschung wichtige Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung bestehender Behandlungskonzepte. Weitere Forschung ist nötig, um die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit von Degarelix zu evaluieren und seinen optimalen Einsatz im Rahmen multimodaler Behandlungskonzepte zu bestimmen.