Gespräch mit Max Weber (Teil I)

17. Februar 2020

In dieser und der nächsten Folge hören Sie ein Gespräch mit Max Weber. Max Weber war vor Jahren Projektteilnehmer von „Kein Täter werden“ am Standort Berlin und hat sich danach bei „Schicksal und Herausforderung“ engagiert. „Schicksal und Herausforderung“ ist eine Selbsthilfegruppe für Pädophile. Dort hat er das Onlineforum „Gemeinsam statt allein“ mitgegründet. Max Weber spricht hier über sein Leben nach der Therapie und die Motivation, andere an seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen und ihnen mit Rat zur Seite zu stehen.

Transkript

Podcast des Präventionsprojekts „Kein Täter werden“ vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité Berlin.

Herzlich willkommen zur fünften Podcast-Folge von „Kein Täter werden“. In dieser und der nächsten Folge hören Sie ein Gespräch mit Max Weber. Max Weber war vor Jahren Projektteilnehmer von KTW am Standort Berlin und hat sich danach bei „Schicksal und Herausforderung“ engagiert. „Schicksal und Herausforderung“ ist eine Selbsthilfegruppe für Pädophile. Dort hat er das Online-Forum „Gemeinsam statt Allein“ mitgegründet. Max Weber spricht hier über sein Leben nach der Therapie und die Motivation, andere an seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen und ihnen mit Rat zur Seite zu stehen.

Interviewerin: Neben mir sitzt Max Weber. Herzlich willkommen zu unserem Gespräch hier heute für den Podcast „Kein Täter werden“.

Max Weber: Danke, dass ich hier sein darf. Ich bin Mitte 30 und meine Ausrichtung ist hauptsächlich auf Mädchen zwischen so 5 und 12. Sekundär habe ich aber auch eine Ansprechbarkeit gegenüber erwachsenen Frauen, die aber, würde ich so beziffern, ungefähr 70 zu 30 ist, also 70 Prozent Mädchen, 30 Prozent Frauen. In Therapie war ich im Prinzip zwei Jahre nach meinem eigenen Coming-in, und zwar von 2006 bis 2007. Das ist schon eine ganze Weile her inzwischen.

Interviewerin: Und nach so vielen Jahren und einem sehr reflektierten Umgang mit dieser Präferenz: Wie geht es Ihnen heute? Was sind im Laufe der Jahre nach der Therapie Dinge, bei denen Sie sagen, „Damit komme ich gut zurecht“, oder gibt es vielleicht auch Probleme?

Max Weber: Also, es war zunächst noch für mich die Akzeptanz des Ganzen ein großes Problem. In der Therapie habe ich viel Theoretisches dazugelernt und quasi „Werkzeug“ an die Hand bekommen, musste dann aber erst mal nach der Therapie lernen, das auch wirklich zu benutzen. Das hat nochmal etwa zwei Jahre gedauert, bis ich an einem Punkt angekommen war, wo ich das Gefühl hatte: Ich stehe wieder mit beiden Beinen auf dem Boden und komme mit dieser Neigung klar. Das ist nichts mehr, was mich belastet, sondern etwas, bei dem ich sagen kann: „Damit kann ich leben.“

Heute ist mein Hauptproblem wirklich die Stigmatisierung und das Gefühl der Isolation von anderen, weil es immer diesen Punkt gibt, über den man nicht offen reden kann und der auch in relativ engen Freundschaften zum Problem werden kann. Ich habe erst vor wenigen Monaten eine enge Freundin durch ein Outing verloren. Sie sagt zwar, sie versteht das und sieht in mir jetzt nicht irgendeine Monstergefahr oder Ähnliches, aber sie kommt mit dem Thema einfach nicht klar und hat den Kontakt zu mir abgebrochen.

Dieses Gefühl, es ist wie ein Damoklesschwert, nämlich die Angst vor einem unkontrollierten Outing, das eben auch durchaus Gewalt nach sich ziehen könnte. Es ist zum Beispiel so, dass im Bekanntenkreis von mir jemand, der mich nicht sonderlich mag, vor Jahren schon mitbekommen hat, dass ich Max Weber bin. Der kennt auch meinen Klarnamen und hat im vergangenen Jahr – ich nenne es mal so – angefangen, „am Rad zu drehen“. Er hat über einen gemeinsamen Freund hergezogen und mich in diesem Zuge auch vor Dritten geoutet, was zu einem riesigen Aufwand und einer nervenaufreibenden Geschichte geworden ist.

Und wenn so etwas an die falschen Leute gerät, dann könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass ich irgendwann einen Schlägertrupp vor der Tür habe. Das ist auch Teil dieses „Schwertes“. Diese Angst muss man einfach immer wieder aushalten oder lernen, damit zu leben.

Was ich aber auch gerne berichten möchte, weil es gut läuft, ist, dass ich für mich sehr viel Zufriedenheit und Gelassenheit gefunden habe. Ich habe über die Jahre gemerkt, dass ich insbesondere vor der Therapie der Neigung und auch meinen Ängsten Kraft gegeben habe, indem ich mich auf negative Aspekte konzentriert habe. In dem Moment, in dem ich aufgehört habe, aktiv nach sexuell erregenden Situationen mit Kindern zu suchen, sind diese Gedanken von alleine immer weiter in den Hintergrund getreten. Heute, möchte ich sagen, habe ich völlig normalen Kontakt zu Kindern im Bekanntenkreis, der sich in keiner Weise mehr belastet anfühlt und der mein Leben sehr bereichert.

Interviewerin: Darf ich trotzdem nochmal nachfragen – Sie können gerne sagen, wenn es zu intim wird, aber die Frage drängt sich direkt auf: Wenn Sie sagen, Sie meiden bewusst Situationen, in denen Lust auftreten könnte, wie gehen Sie dann mit einer nicht ausgelebten Sexualität um?

Max Weber: Es gibt einige aus dem Forum, die würden sagen, das sei auch ein Ausleben, nur eben nicht sexuell. Ich finde die Formulierung etwas schwierig. Ich würde eher sagen, dass ich immer wieder merke, wie ich in diesem Kontakt mit Kindern durch das Aussparen der sexuellen Komponente Dinge erleben kann, die gar nicht möglich wären, wenn ich sie sexuell ausnutzen würde. Das würde innerhalb kurzer Zeit kaputtgehen – ganz abgesehen davon, dass ich dem Kind massiv schaden würde. Und wenn ich da sitze und wirklich etwas mit den Kindern unternehme und merke, was für eine Zufriedenheit mir das gibt, dann denke ich, dass mir auch keine ausgelebte Sexualität das geben könnte.

Interviewerin: Okay. Aber Sie sagten ja auch, Sie haben zu 30 Prozent eine Ansprechbarkeit auf erwachsene Frauen. Leben Sie mit denen dann auch Ihre sexuellen Wünsche aus?

Max Weber: Es ist so, dass ich aufgrund meines Glaubens grundsätzlich auf Sex vor der Ehe verzichte. Ich bin nicht verheiratet, also auch auf dieser Ebene nicht. Aber ich würde mich sehr freuen, eine Frau zu finden. Da muss man auch schauen, ob das klappt. Ich bringe ja mit meiner Neigung auch einen Ballast mit, den nicht jede Frau mittragen kann.

Interviewerin: Ich wünsche Ihnen da auf jeden Fall alles Gute. Vielleicht findet sich die Passende, oft kommt das ja unverhofft.

Max Weber: Unverhofft, ja.

Interviewerin: Wie entstand eigentlich die Idee: „Gut, ich habe für mich Tools und Werkzeuge gelernt, ich möchte mein Wissen und meine Erfahrung auch weitergeben“? Wie kam es dann zu der Idee, ein Forum zu gründen, das Forum „Gemeinsam statt Allein“ oder „Schicksal und Herausforderung“? Die gibt es ja beide parallel – was ist jetzt was?

Max Weber: Ich hatte in dem Moment, in dem für mich diese Ruhe eingekehrt war, das Gefühl, mir platzt der Kopf, weil ich erst dann richtig begriffen habe, was in den letzten Jahren passiert ist und wie es mir damit geht. Ich wollte darüber reden, es verarbeiten, darüber schreiben. Generell ist es bei mir so, dass ich schwierige Dinge oft durch Schreiben verarbeite. 2009, als ich wieder diese innere Ruhe gefunden habe, habe ich rückblickend vieles anders verstanden als zuvor und hatte einfach das Bedürfnis, darüber zu reden, damit es nicht nur in meinem Kopf stattfindet.

Gleichzeitig kam der Gedanke, ich möchte für andere Menschen derjenige sein, den ich vor meiner Therapie selbst nicht hatte – jemand, der ein Bild davon vermittelt, wie es weitergehen kann. Wie kann es einem mit dieser Neigung gehen? Ist das ein ständiges Unterdrücken, ist das krampfhaft oder kann man damit glücklich werden? Solche Fragen haben mich damals beschäftigt, und ich hatte niemanden, den ich dazu hätte fragen können.

Das war im Prinzip meine Motivation, online darüber zu schreiben. Ich habe mich dann auch nochmal aufgemacht, die Seite zu besuchen, von der wir in der Therapie mal ein Blatt mit 15 Grundsätzen bekommen hatten, von jemandem, der sich Marco nannte. Ich sah, diese Seite gab es nicht mehr, aber es gab eine Nachfolgerseite namens „Schicksal und Herausforderung“. Dort habe ich gelesen und mich im Januar 2009 auch ins Gästebuch eingetragen. Daraus entwickelte sich ein Kontakt; ich schrieb Texte für die Seite. Später, als Marco aufgehört hat, übernahm ich zusammen mit zwei weiteren Nutzern die Seite – das war 2011. Von Anfang an war eigentlich der Gedanke da, dass es ein Forum bräuchte, aber uns fehlten die technischen Möglichkeiten, das Know-how und die Zeit, das zu betreuen. Das zog sich bis 2016, als im Gästebuch wiederholt der Wunsch nach einem Forum aufkam. Dann haben wir uns drangesetzt und geschaut, ob wir das doch realisieren können, haben Mitstreiter gefunden, Leute, die sich um die Technik kümmern konnten. So ist im Frühjahr 2017 schließlich das Forum „Gemeinsam statt Allein“ als Unterprojekt von „Schicksal und Herausforderung“ gestartet.

Interviewerin: Jetzt verstehe ich es. Das heißt, die Seite heißt „Schicksal und Herausforderung“ und dieses Forum ist das Unterprojekt „Gemeinsam statt Allein“.

Max Weber: Korrekt. Wir streben im Moment an, einen Verein zu gründen bzw. eintragen zu lassen. Der wird dann auch „Schicksal und Herausforderung“ heißen und als Schirmorganisation dienen, unter der diese Projekte laufen können.

Interviewerin: Das klingt sehr aufwendig. Wie viel Zeit verwenden Sie denn in der Woche für dieses Projekt?

Max Weber: Das ist schon fast ein Vollzeitjob. Ich bin selbst arbeitslos und mache das eben in dieser Zeit. Das ist für mich mein Beitrag für die Gesellschaft. In Deutschland haben wir einen ziemlich guten Sozialstaat, sodass ich nicht auf der Straße sitze, wie es in manchen anderen Ländern vielleicht wäre. Da sage ich mir: „Dann kann ich die Zeit doch nutzen, um das zu machen.“

Interviewerin: Und das alles völlig ehrenamtlich?

Max Weber: Bisher ja, und ich schätze, das wird sich auch nicht so sehr ändern. Am Anfang haben wir alles komplett aus eigener Tasche finanziert. Eine Zeit lang konnten wir Spenden einnehmen, das wurde uns durch den Verein Regenbogenwald e.V. ermöglicht. Das mussten wir dann aber wieder einstellen. Danach gab es noch auf privater Ebene Menschen, die etwas gespendet haben. Im Moment finanzieren wir davon noch Server, Hosting und was man sonst so alles bezahlen muss.

Interviewerin: Richtig. Wie viele Menschen beteiligen sich denn an dem Forum? Also Leute, die Fragen stellen, Rat suchen, ihr Leid schildern – was überwiegt?

Max Weber: Hm, das ist eine komplexe Frage. Ich habe mir das ein bisschen angeschaut und vorbereitet. Wir haben derzeit etwa 25 Leute, die regelmäßig aktiv sind, und davon ungefähr zwölf – außerhalb des Teams –, die schon sehr lange aktiv sind. Man könnte sagen, das sind unsere Stammgäste. Darunter sind sehr unterschiedliche Menschen, an ganz unterschiedlichen Punkten in ihrem Leben. Unsere Zielgruppe sind vor allem Menschen, die in irgendeiner Weise Ansprechpartner suchen – entweder wegen Problemen mit der Akzeptanz ihrer Neigung oder weil sie sich einsam fühlen und jemanden Gleichgesinnten zum Reden brauchen. Es ist so, dass regelmäßig per E-Mail oder direkt im Forum Leute auftauchen, die sehr verzweifelt sind und mit einem riesigen Paket Selbsthass ankommen. Das sind vor allem die Menschen, denen wir Hilfe bieten wollen. Und oft blühen sie allein durch die Möglichkeit, offen über ihre Neigung zu reden, stark auf und schaffen teilweise große Veränderungen in ihrem Leben, zum Beispiel wenn sie mit einem Alkoholproblem gekommen sind oder großen Selbstwertproblemen.

Allerdings ist das im englischsprachigen Raum, wo ich im Forum „Virtuous Pedophiles“ (kurz VirPed) aktiv bin, noch viel drastischer. Dort kommen regelmäßig Leute mit einem sehr kaputten Leben an, das im Wesentlichen daran zerbrochen ist, dass sie irgendwann mit 12, 13 oder 14 gemerkt haben, pädophil zu sein, und das sofort mit Missbrauch gleichgesetzt haben – plus dem noch krasseren Bild, das dort in den Medien vermittelt wird.

Interviewerin: Dort gibt es ja auch weniger Therapieangebote und teils eine Meldepflicht für Therapeuten, was eine große Hemmschwelle ist, sich überhaupt Hilfe zu suchen. In Deutschland ist das dann etwas liberaler geregelt.

Max Weber: Genau. Das führt zu einem Konglomerat aus Selbsthass, Angst und Schweigen. Sie wollen kein Kind verletzen, haben aber dieses gesellschaftliche Bild übernommen: Pädophil gleich Missbrauchstäter. Und sie wissen, ich darf niemals darüber reden, weder im Privaten noch mit professionellen Hilfskräften, denn die würden mich vielleicht direkt melden. Ich bin auf eine Reddit-Nachricht gestoßen, bei der ein Betroffener sich seiner Therapeutin anvertraut hat. Sie hat das dann an die Behörden gemeldet, und innerhalb weniger Tage war sein Leben komplett zerstört. Er schrieb auf Reddit, dass er nicht mehr leben wolle und nur noch erklären möchte, warum. Ob das im Detail genauso war, kann ich nicht beurteilen, aber es ist ein Beispiel dafür, wie es laufen kann.

Interviewerin: Und so etwas müssen Sie dann alles auffangen, auch selbst verarbeiten – einerseits Stütze sein für die Betreffenden, andererseits: Wo verarbeiten Sie das? Man bräuchte ja quasi eine Supervision, um solche Geschichten zu verkraften.

Max Weber: Das sind auch Dinge, die wir mit dem angestrebten Verein bald realisieren möchten, also Fortbildungen und mehr Basis als nur unsere eigenen Erfahrungen, um uns um solche Fälle zu kümmern. Ich persönlich habe ein bisschen das Talent, gut abschalten zu können. Ich kann mich hinsetzen und mit jemandem schreiben, der suizidal ist, und mich danach entspannt hinsetzen und sagen: „Ich habe jetzt alles getan, was ich konnte. Jetzt trinke ich meinen Kakao.“ Das klingt vielleicht drastisch, ist aber eher professionell.

Interviewerin: Kommt das denn häufig vor, dass solch heftige Schilderungen bei Ihnen landen?

Max Weber: Zum Glück nicht allzu häufig. Im „VirPed“-Forum ist das wesentlich häufiger als bei uns. Aber es kommt vor.

Interviewerin: Die Internetadresse von „Schicksal und Herausforderung“ lautet

www.schicksal-und-herausforderung.de.

Von dort aus erreicht man auch das Forum „Gemeinsam statt Allein“ und findet viele Informationen.

In der nächsten Folge hören Sie Teil 2 des Gesprächs mit Max Weber. Darin wird es um die Schwierigkeiten gehen, die in Selbsthilfegruppen grundsätzlich auftreten können, und um die Besonderheiten eines solchen Forums für Menschen mit pädophiler Neigung.

Auf Wiederhören.

2025-01-27T12:20:18+01:00
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