Im Gespräch mit dem Standort Gießen
27. Mai 2020
In dieser Folge thematisieren wir die Entstehung und Arbeitsweise des Standorts Gießen. Prof. Dr. Johannes Kruse, der Leiter des Standorts, und die Psychologinnen Stephanie Thiel und Jennifer Müller sprechen über die Therapie und besondere Herausforderungen in der Versorgung eines Flächenlandes. Ein Projektteilnehmer teilt anonym seine Erfahrungen aus der Therapie.
Transkript
Podcast des Präventionsprojekts „Kein Täter werden“ vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité Berlin.
Herzlich willkommen zur siebten Folge des Podcasts von „Kein Täter werden“.
Heute stellen wir Ihnen einen kleineren Standort des KTW-Netzwerks vor: Gießen.
Dafür haben wir gesprochen mit Prof. Johannes Kruse, Direktor der Gießener Universitätsklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, ebenso mit der psychologischen Psychotherapeutin Jennifer Müller und mit der Diplom-Psychologin Stephanie Thiel. Beide haben sexualtherapeutische Expertise und langjährige Erfahrungen.
Und schließlich hat sich auch ein Projektteilnehmer des KTW-Standorts Gießen für ein Gespräch bereit erklärt. Nennen wir ihn Thomas. Thomas möchte unerkannt bleiben, weshalb wir seine Stimme mit seiner Genehmigung verändert haben.
Thomas (verzerrte Stimme):
Also ich bin jetzt 31 und meine Präferenz liegt bei Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren. Tief bemerkt habe ich das, beziehungsweise das erste Mal skeptisch war ich so mit 19, 20. Da fiel mir dann doch auf, dass diese Altersdifferenz zwischen mir und denen, die ich anziehend finde, recht groß ist.
Interviewerin:
Okay, Sie sind also hebephil ausschließlich – oder haben Sie auch eine Ansprechbarkeit für Erwachsene?
Thomas:
Ich habe auch eine Ansprechbarkeit für Erwachsene. Gott sei Dank, das macht es ein bisschen erträglicher.
Interviewerin:
Haben Sie denn tatsächlich jemals „Hands-on“-Delikte begangen oder Missbrauchsabbildungen konsumiert?
Thomas:
Ja, ich habe Missbrauchsabbildungen konsumiert, bis zu dem Zeitpunkt, als ich hier angefangen habe, die Therapie zu beginnen. Ich habe aber nie ein Kind angefasst. Es hat sehr, sehr lange gedauert, bis ich überhaupt mit irgendjemandem darüber geredet habe. Wirklich angegangen bin ich das auch erst vor ein paar Jahren.
Interviewerin:
Und dass Sie sich dann doch überwunden haben, sich zunächst mal einer anderen Therapeutin oder einem Therapeuten zu öffnen, lag das daran, dass der Leidensdruck zu groß wurde?
Thomas:
Das war ein Punkt, an dem ich wirklich an eine Grenze kam, wo ich mit mir selbst ausmachen musste, dass ich so nicht mehr leben kann. Dieses ewige Konsumieren, dann wieder alles löschen, nichts mehr damit zu tun haben und ein halbes Jahr später wieder mit dem Sammeln anzufangen – diese Routine, dieses ständige „immer und immer wieder“, hat mich dann irgendwann an die Grenze gebracht.
Ich habe zuerst das KTW-Netzwerk gefunden und kam dann auch auf die Standorte. Da war ich natürlich überglücklich, dass hier in Gießen einer direkt in meiner Nähe ist. Ich habe sofort angerufen, als ich die Telefonnummer gesehen habe, und ich habe dabei gezittert. Dann war aber nur ein Anrufbeantworter dran, weil niemand mehr direkt erreichbar war. Es hat aber auch nicht lange gedauert, bis bei mir das Telefon klingelte. Und da muss ich sagen, hatte ich wirklich Angst.
Interviewerin:
Angst davor, geoutet zu werden und öffentlich an den Pranger gestellt zu werden? Oder Angst, dass jemand zu tief in Ihr Seelenleben blickt?
Thomas:
Ich hatte Angst, verurteilt zu werden. Ich habe das ja nie jemandem erzählt, weil ich befürchtet habe, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden oder dass ich meine Freunde verliere. Diese Angst war immer da. Auch als das Telefon klingelte.
Interviewerin:
Und wie war dann der Erstkontakt tatsächlich?
Thomas:
Als wir die ersten paar Sätze gewechselt hatten, fiel diese Anspannung komplett von mir ab, und damit musste ich dann erst mal umgehen. Das war aber auch eine riesige Erleichterung.
KTW-Standort Gießen
Interviewerin:
Seit wann gibt es den KTW-Standort Gießen?
Prof. Johannes Kruse:
Wir haben im Dezember 2013 hier begonnen.
Interviewerin:
Wie sind Sie auf das Projekt aufmerksam geworden? In Berlin wurde das ja 2005 ins Leben gerufen. Weshalb haben Sie sich entschieden, sich diesem Netzwerk anzuschließen?
Prof. Johannes Kruse:
Ich kannte Herrn Beier schon so um die frühen 2000er Jahre und habe seine Arbeit verfolgt. Wir haben hier in Gießen viele Jahre mit betroffenen Patientinnen gearbeitet, also Frauen, die Missbrauchserfahrungen gemacht haben. Es war mir immer ein Anliegen, die andere Seite in die Behandlung zu integrieren. Dann rief Herr Beier mich 2013 an: Das Netzwerk würde sich erweitern, ob wir hier in Gießen mitmachen wollten. Ich habe sehr spontan Ja gesagt.
Zumal es wichtig ist, diese Arbeit in ein therapeutisches Umfeld zu integrieren, was wir hier in Gießen gut gewährleisten konnten. Von daher war es für mich folgerichtig, zu sagen: „Ja, das machen wir.“
Interviewerin:
Wie läuft der Austausch unter den Standorten im Netzwerk?
Stefanie Thiel:
Wir haben teilweise einen recht regen Austausch mit anderen Standorten. Wir halten Telefonkonferenzen ab, in denen wir uns auch zu Fällen austauschen.
Therapie in Gießen
Interviewerin:
Wie verläuft die Therapie hier in Gießen? Gibt es Unterschiede zu anderen Standorten, vielleicht bedingt durch das Flächenland? Und wie lange begleiten Psychologinnen und Patienten sich hier durchschnittlich? Gibt es Gruppen- und/oder Einzeltherapie?
Jennifer Müller:
Wir führen in Gießen hauptsächlich Gruppentherapie durch und haben das bislang als sehr hilfreich für die Patienten erlebt. Das ist unsere erste Wahl der Behandlungsart. In Einzelfällen bieten wir aber auch Einzeltherapien bzw. Einzelberatungen an, wenn das aus bestimmten Gründen erforderlich ist.
Interviewerin:
Was könnten das für Gründe sein?
Jennifer Müller:
Das kann zum Beispiel eine weitere psychische Erkrankung sein, die den Gruppenzugang erschwert, oder wenn die Person selbst sehr ängstlich ist, in eine Gruppe zu gehen. Auch die Entfernung spielt eine Rolle: Wenn jemand sehr lange Anfahrtswege hat und nicht wöchentlich kommen kann, kann man das Einzelsetting etwas strecken, sodass er nicht so oft fahren muss.
Interviewerin:
Wie lange bleiben die Patienten bei Ihnen in der Gruppe oder auch in Einzeltherapie?
Stephanie Thiel:
Momentan sind wir bei einem Schnitt von ungefähr eineinhalb Jahren Behandlungsdauer.
Interviewerin:
Wenn sie dann fertig sind, gibt es – wie an anderen Standorten – auch Nachsorgegruppen?
Jennifer Müller:
Ja, genau. Wir bieten auch eine Nachsorgegruppe an, die regelmäßig in Anspruch genommen wird. Bei uns findet diese einmal im Quartal statt.
Thomas:
Ich hatte zuerst einen Termin mit Frau Müller. Das war mein erster Termin hier, und ich war total nervös, habe mich dauernd umgesehen, weil ich dachte, am Ende erkennt mich jemand. Ich wollte nicht, dass mich jemand dort sieht. Aber als ich Frau Müller kennengelernt habe, fiel die letzte große Anspannung eigentlich von mir ab.
Wir hatten zunächst Einzelgespräche. Das war auch ganz gut so, weil die nächste Hürde war natürlich: „Wer sind diese ‚bösen‘ Männer und Schattengestalten aus dem Internet?“ – diese Vorurteile. Ich hatte so ein Bild im Kopf von „dicken Männern mit Glatze und Hornbrille“ oder „bösen Menschen“. Als ich dann die Leute in der Gruppe kennengelernt habe, merkte ich: Das sind ganz normale Menschen, die sich diese Präferenz nicht ausgesucht haben.
Interviewerin:
Das ist sicher auch eine Entlastung: Zum einen auf verständnisvolle Therapeutinnen zu treffen, zum anderen in der Gruppe festzustellen, anderen geht es ähnlich, und es sind keine „Unmenschen“.
Thomas:
Genau. Das war wirklich positiv. Ich denke, es war der erste Lichtblick bezüglich dieser ganzen Geschichte. Ich war ungefähr zweieinhalb Jahre im Programm.
Interviewerin:
Hessen ist ein Flächenland. Sie haben das Glück, nicht so weit weg zu wohnen. Gab es in Ihrer Gruppe auch Menschen, die sehr lange Wege auf sich nehmen mussten?
Thomas:
Bei zweien weiß ich, dass sie jeweils eine bis eineinhalb Stunden pro Strecke gefahren sind. Sie haben sich aber nie beschwert und nie daran gedacht, aufzuhören. Es war ihnen wichtiger, sich um das Problem zu kümmern. Da war die Fahrzeit zu vernachlässigen.
Interviewerin:
Und jetzt sind Sie in der Nachsorgegruppe?
Thomas:
Ja, genau. Weil es ja nicht verschwindet. Man ist nicht „geheilt“, sondern man lernt, mit den Werkzeugen, die man in der Therapie bekommt, umzugehen und die Präferenz zu akzeptieren. Natürlich kommen immer wieder Situationen, in denen man besonders auf sich achten muss. Und dann ist es hilfreich, in der Nachsorgegruppe darüber zu reden und sich mit Menschen auszutauschen, denen es ähnlich geht.
Interviewerin:
Und Sie können auch jetzt ganz normal arbeiten?
Thomas:
Ja, ich arbeite in einem Beruf, in dem ich nicht zwangsläufig mit Kindern zu tun habe. Ich halte mich auch weiterhin von Situationen fern, in denen mir das schwerfallen könnte. Meine Lebensqualität ist dadurch nicht eingeschränkt. Es ist nicht so, dass ich das Gefühl habe, Kinder „um mich scharen“ zu müssen.
Interviewerin:
Aus Ihrer Schilderung klingt es, als wäre diese Therapie für Sie sehr hilfreich gewesen. Empfehlen Sie anderen Betroffenen, sich an den Standort Gießen oder einen anderen KTW-Standort zu wenden?
Thomas:
Auf jeden Fall. Wenn jemand an den Punkt kommt, „Ich kann so nicht mehr, ich will das ändern“, ist das die beste Option, die man hat. Man arbeitet mit Fachpersonal zusammen, das nicht nur qualifiziert, sondern auch empathisch ist. Und in der Gruppe sitzt man mit anderen, die ähnliche Probleme haben, und man kann endlich offen über das Thema reden, ohne dass jemand sofort sagt: „Die gehören alle an die Wand gestellt.“ Das ist ein sehr positives Gefühl. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich hier nach der Therapie mit einem Lächeln gegangen bin – wahrscheinlich genauso oft, wie ich mit Tränen in den Augen gegangen bin. Es ist schwierig, aber es tut gut. Ich wüsste nicht, wo ich heute wäre, wenn ich nicht hierher gekommen wäre.
Zahlen und Fakten aus Gießen
Interviewerin:
Im Schnitt, wie viele Menschen kommen denn jährlich zur Diagnostik? Und wie viele von diesen beginnen dann auch eine Therapie, bzw. wie viele beenden sie?
Stephanie Thiel:
Das ist sehr schwankend, und wir wissen leider nicht, warum. In einem Jahr hatten wir mal 26 Patienten in der Diagnostik, in einem anderen nur 5. Insgesamt waren bislang 131 Personen zur Diagnostik da – seit 2013. Davon haben 72 ein Therapieangebot bekommen, weil sie geeignet waren. 27 Personen haben tatsächlich begonnen.
Jennifer Müller:
Von denen hat ungefähr die Hälfte abgeschlossen, die andere Hälfte ist noch in Behandlung, und ein Teil hat abgebrochen.
Interviewerin:
Sind es überwiegend Menschen mit „Hands-off“-Delikten, also Konsum von Missbrauchsabbildungen, oder auch „Hands-on“-Täter?
Jennifer Müller:
Hier in Gießen überwiegend die „Hands-off“-Delikte. Menschen, die „Hands-on“-Taten begangen haben, kommen seltener zu uns. Und Personen ohne jegliches Delikt – weder „Hands-off“ noch „Hands-on“ – sind bei uns eher selten.
Interviewerin:
Gibt es auch weibliche Projektteilnehmerinnen?
Stephanie Thiel:
Bislang haben sich bei uns drei Frauen gemeldet, die am Telefon angaben, eventuell eine entsprechende Neigung zu haben. Wirklich hier erschienen ist allerdings nur eine. Bei ihr standen aber andere psychische Probleme im Vordergrund, sodass wir nicht abschließend diagnostizieren konnten, ob eine pädophile Neigung vorliegt oder nicht.
Interviewerin:
Kommen auch Menschen mit Migrationshintergrund?
Jennifer Müller:
Vereinzelt, ja. Allerdings hat bislang noch niemand aus dieser Gruppe eine Therapie bei uns in Anspruch genommen. Es ist selten.
Interviewerin:
Warum ist das so selten? Und was könnte man tun, um diese Gruppe besser zu erreichen?
Prof. Johannes Kruse:
Es kann am kulturellen Hintergrund liegen. Beispielsweise gilt in manchen Regionen Afrikas und auch in Teilen des muslimischen Raums alles, was von heterosexueller Norm abweicht, als „unafrikanisch“ oder allgemein als hochgradig tabu. Deshalb trauen sich Betroffene dort möglicherweise nicht, sich zu outen oder Hilfe zu suchen. Wir gehen aber davon aus, dass der Anteil an pädophiler Neigung in etwa dem der Gesamtbevölkerung entspricht.
Medikamentöse Ansätze
Interviewerin:
Zum Teil werden ja triebmindernde Medikamente eingesetzt, nicht gleich als erstes, aber unter Umständen. Wie ist das bei Ihnen in Gießen und wie ist die Akzeptanz?
Jennifer Müller:
Die erste Stufe wäre ein SSRI, also ein Antidepressivum, das als Nebenwirkung Libidoverlust erzeugen kann. Das kann man sich gezielt zunutze machen. Wir empfehlen das gelegentlich, verschrieben wird es dann über den Psychiater oder Hausarzt des Teilnehmers. Eine explizit triebdämpfende Medikation können wir natürlich auch anbieten, wurde aber bislang nicht in Anspruch genommen. Generell sind die Teilnehmer dieser sehr skeptisch gegenüber – teils wegen der Nebenwirkungen, teils wegen der regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen, die dann nötig werden.
Angehörie und Paargespräche
Interviewerin:
Bieten Sie auch Angehörigengruppen oder Paargespräche an?
Stephanie Thiel:
Ja, Paargespräche bieten wir an. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sehr sinnvoll ist, die Partnerin – sofern vorhanden – in die Therapie einzubeziehen. Denn auch Partnerinnen haben oft Ängste, Fragen und sonst niemanden, mit dem sie das besprechen können. Wir versuchen daher, die Kommunikation über das Thema in der Partnerschaft zu erleichtern, was für alle Beteiligten eine Entlastung sein kann.
Wenn die Teilnehmer eigene Kinder haben, besprechen wir in Paargesprächen den Umgang mit tatsächlichen oder potenziellen Risikosituationen.
Erfolge und Misserfolge
Interviewerin:
Was war in der Zeit seit 2013 Ihr größter Erfolg, Ihr größter Misserfolg oder ein besonderes Erlebnis?
Jennifer Müller:
Erfolge muss man immer im Kontext sehen. Für manche ist bereits ein „kleiner Schritt“ ein riesiger Fortschritt. Besonders eindrücklich waren zwei Fälle von Teilnehmern, die selbst als Kinder missbraucht worden waren und in der Gruppentherapie das erste Mal überhaupt darüber gesprochen haben. Danach konnte einer sich sogar zu einer eigenen Trauma-Therapie entschließen. Die beiden haben berichtet, dass dadurch ihre Lebensqualität erheblich gestiegen ist.
Stephanie Thiel:
Was Misserfolge betrifft: Für uns ist es schwierig, wenn jemand abbricht und wir gar nicht wissen, warum – wir also keinen Kontakt mehr haben. Oder wenn wir jemandem nicht helfen können, weil er unsere Angebote nicht umsetzen kann. Von den 27 Personen haben 6 die Therapie abgebrochen, das sind etwa 22 Prozent. Das klingt nach viel, entspricht aber ungefähr den Abbruchquoten in der allgemeinen Psychotherapie. Bei stigmatisierten Personengruppen ist sie sogar meist noch höher, sodass unsere Haltequote insgesamt ganz gut ist.
Öffentlichkeitsarbeit
Interviewerin:
Wie machen Sie Ihre Angebote bekannt?
Stephanie Thiel:
Wir vernetzen uns mit allen möglichen Einrichtungen und Personen, um das Projekt bekannter zu machen. Beispiele sind die ökumenische Telefonseelsorge, Wildwasser, Jugendämter oder kirchliche Einrichtungen. Dort stellen wir das Projekt in Form von Vorträgen oder Schulungen vor.
Interviewerin:
Und wie ist es mit Studierenden, die Praktika oder Abschlussarbeiten über das Projekt machen möchten?
Jennifer Müller:
Gerade zu Beginn konnten wir uns vor Anfragen kaum retten. Damals hatten wir auch einige Praktikantinnen und Praktikanten. Inzwischen können wir keine Plätze mehr anbieten, weil wir zu wenige Aufgaben abgeben können. Immer wieder fragen Bachelor- oder Masterstudierende an, ob sie Interviews für ihre Arbeiten machen dürfen. Aus Zeitgründen ist das oft nicht machbar. Ein Student arbeitet derzeit als wissenschaftliche Hilfskraft und betreut unsere Hotline.
Wünsche, Appelle und Botschaften
Interviewerin:
Gibt es Botschaften, Forderungen, Appelle an die Gesellschaft oder an die Politik?
Stephanie Thiel:
Was wir oft bemerken, ist, dass sich auch Betreuer, Therapeutinnen und Anwälte bei uns melden, die mit der Situation ihrer Klienten überfordert sind. Der Umgang mit dieser Thematik löst also selbst in Fachkreisen noch immer Hilflosigkeit aus. Da wäre mehr Aufklärungs- und Informationsarbeit sehr sinnvoll.
Gerade bei der Polizei wäre es wichtig, besser zu informieren, dass Missbrauch und pädophile Neigung nicht automatisch dasselbe sind. Häufig reagieren Polizisten sehr emotional und schüchtern Betroffene noch mehr ein. Das ist eher kontraproduktiv. Auch im therapeutischen Bereich müssten Aus- und Fortbildungen mehr Sexualitätsthemen abdecken. Beim Thema Pädophilie gilt das ganz besonders.
Thomas:
Ich wünsche mir allgemein, dass sich mehr Menschen mit dem Thema beschäftigen. Es ist ein super unangenehmes Thema, und ich verstehe, wenn man es am liebsten ausblendet. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schlimm es ist, im Familien- oder Freundeskreis immer dieses Spiel mitspielen zu müssen, „diese Pädophilen schon wieder …“ – so als wären Pädophile automatisch Täter. Ich habe aber auch gemerkt, dass es Menschen gibt, die sich wirklich damit auseinandersetzen. Eine Freundin von mir, die Psychologie studiert, hat sich sehr informiert, und ihr gegenüber habe ich mich auch geöffnet. Das war eines der besten und erfüllendsten Gespräche meines Lebens.
Als Empfehlung für alle, die darunter leiden: Nutzt dieses Programm, zieht es durch. Und an alle, die bisher wenig darüber wissen: Ich fände es schön, wenn sich mehr Menschen informieren würden.
Ich wünsche dem Programm, ich wünsche allen, die hier mithelfen, nur das Beste und viel Erfolg.
Interviewerin:
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen für das Gespräch.
Die Kontaktdaten zu allen bundesweiten Standorten des Netzwerks „Kein Täter werden“ finden Sie auf der Website:
www.kein-taeter-werden.de
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit – und bleiben Sie gesund.