Interview mit LUIS (Teil II)
19. November 2019
Teil II des Interviews mit LUIS, einem Projektteilnehmer von „Kein Täter werden“ über seine Erfahrungen in der Therapie am Standort Berlin und seine Wünsche für die Zukunft.
Transkript
Podcast des Präventionsprojekts „Kein Täter werden“ vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité Berlin.
Im ersten Teil des Gesprächs mit Luis, einem pädo-, häbe- und teleiophilen Projektteilnehmer von „Kein Täter werden“, hörten wir seine bewegenden Schilderungen über seine Jugend in Isolation, sein Coming-out gegenüber seiner Partnerin und über das Stigma, dem Pädophile ausgesetzt sind. Hier, in Teil 2, hören Sie, was für ihn die bedeutsamsten Erkenntnisse aus der Therapie sind, welche Zukunftspläne er hat, wie er sich vorstellen könnte, mit einer eigenen Tochter umzugehen, ohne sie oder seine Familie zu gefährden, und welche Tipps er anderen Menschen mit dieser sexuellen Neigung geben möchte.
Die Stimme von Luis wurde nachgesprochen.
Interviewerin:
Wie lange hat es denn gedauert, also vom ersten Anruf bis Sie dann tatsächlich hier in die Therapie gekommen sind?
Luis:
Es ging erschreckend schnell. Wobei „erschreckend“ vielleicht das falsche Wort ist – eigentlich war ich froh darüber. Zwei Tage nach meinem Anruf hatte ich schon das Erstgespräch. Das war recht umfangreich, ich glaube, es dauerte anderthalb Stunden. Dabei wurde ein erstes Interview mit einem Therapeuten geführt, und ich musste sehr viele Fragebögen ausfüllen. Es ging um die Einordnung meiner Präferenz, ob das ins Projekt passt und so weiter. Insgesamt war ich bestimmt vier oder fünf Stunden vor Ort. Und zwei oder drei Wochen später hatte ich schon meinen ersten Termin in der Gruppe.
Das hängt natürlich immer davon ab, wie die Gruppen gerade zusammengesetzt werden und wie viele Teilnehmer*innen noch gebraucht werden. Aber in meinem Fall ging es sehr flott.
Interviewerin:
Das ist ja eigentlich auch sehr schön, denn wenn der Leidensdruck hoch ist, ist jede lange Wartezeit schwierig.
Luis:
Ja, absolut. Und vor allem war es hilfreich, dass ich so schnell dieses Erstgespräch hatte. Allein die Möglichkeit, offen mit jemandem zu sprechen, der sich mit dem Thema auskennt und das rational aufnimmt, hat mir schon sehr geholfen. Da habe ich ein Stück Normalität gespürt.
Interviewerin:
Wie ist das dann in der Gruppe? Das stelle ich mir sehr heterogen vor.
Luis:
Ich wusste anfangs nicht, was mich erwartet. Aber hier gibt es eine Adoleszenzgruppe für Leute in ihren Zwanzigern, bis maximal 30. Dadurch sind wir alle in einer ähnlichen Lebensphase, also Studium, Ausbildung oder erste Berufsjahre. Das verbindet uns, sodass es gar nicht so heterogen ist. Klar, wir haben unterschiedliche Charaktere und Hintergründe, aber wir sind nicht meilenweit auseinander.
Wir sind momentan zu acht in der Gruppe. Die Sitzungen sind oft sehr anstrengend, da wird viel gearbeitet, und manchmal geht man auch weinend oder mit schweren Gedanken nach Hause. Aber wir verstehen uns so gut, dass wir zwischendurch auch mal zusammen lachen können. Es ist eine Arbeitsatmosphäre, bei der man sich gegenseitig unterstützt.
Interviewerin:
Wie häufig treffen Sie sich?
Luis:
Einmal pro Woche. Es ist auch vorgesehen, dass man maximal dreimal im Quartal fehlen darf, damit die Gruppe kontinuierlich arbeiten kann. Das klappt gut. Meistens sind alle da, manchmal fehlt jemand, aber es ist nie so, dass nur zwei oder drei Leute kommen.
Interviewerin:
Sie sind jetzt ungefähr ein Jahr dabei?
Luis:
Ja, genau.
Interviewerin:
Gibt es schon so etwas wie eine größte Erkenntnis für Sie in dieser Zeit?
Luis:
Auf jeden Fall. Für mich war eine der wichtigsten Erkenntnisse, dass mein Konsum von Missbrauchsabbildungen – etwas, das ich selbst moralisch total ablehne – aus bestimmten psychischen Situationen heraus passiert ist. Da steckt mehr dahinter, etwa Frust oder innere Leere. Diese Hintergründe sind genauso wichtig wie die Auseinandersetzung mit der eigentlichen Präferenz. Es geht nicht nur um Sexualität, sondern auch darum, welche Emotionen mich zu riskantem Verhalten treiben.
Interviewerin:
Ist ein Ende Ihrer Therapie schon absehbar?
Luis:
Ja, wir haben alle drei Monate ein Gespräch, in dem wir unsere Ziele anschauen und überlegen, was noch zu erreichen ist. Ich vermute, dass es im Laufe dieses Jahres auslaufen wird. Vermutlich werde ich insgesamt anderthalb Jahre dabei gewesen sein. Danach gibt es aber die Möglichkeit einer Nachsorgegruppe. Ich denke, da werde ich anfangs hingehen, einfach um weiter Unterstützung zu haben und das Thema im Blick zu behalten.
Interviewerin:
Sie hatten vorhin gesagt, dass Sie berufstätig sind. Lässt sich das gut mit den wöchentlichen Sitzungen vereinbaren?
Luis:
Ja, es ist natürlich ein Zeitaufwand. Man muss die Anfahrt planen, die zwei Stunden Sitzung. Das ist ein Block pro Woche, den ich fest einplane. Ich habe eine Ausrede für meine Arbeitsstelle – was genau, sage ich jetzt nicht. Das klappt ganz gut. Und danach gehe ich nach Hause, rede mit meiner Partnerin darüber. Manchmal schauen wir dann noch eine Serie oder kochen zusammen. Also es ist zwar anstrengend, aber gut machbar.
Am meisten Kraft kostet die Arbeit zwischen den Sitzungen. Was wir in der Gruppe besprechen, wirkt ja im Alltag nach. Beispielsweise merke ich in einer einsamen Situation: „Oh, jetzt kommt wieder so eine sexuelle Fantasie hoch.“ Dann erinnere ich mich an unsere Gesprächsinhalte und denke: „Aha, das hat vielleicht mit Einsamkeit zu tun.“ Diesen Prozess muss man eben ständig im Blick behalten.
Interviewerin:
Haben Sie das Gefühl, bestimmte Techniken und Werkzeuge gelernt zu haben, um mit solchen Situationen besser umzugehen?
Luis:
Definitiv. Ein großer Teil der Therapie ist, persönliche Risikosituationen zu erkennen und Lösungsstrategien zu entwickeln. Das kann ein „Frühwarnsystem“ sein, wenn ich merke, dass bestimmte Gefühle wie Einsamkeit oder Stress mich anfälliger machen. Dann kann ich mich aktiv um Ablenkung kümmern, mit meiner Partnerin sprechen oder einen Freund anrufen – eben Dinge tun, die mich nicht in eine gefährliche Situation bringen.
Zudem weiß ich jetzt, wie wichtig es ist, sich Hilfe zu holen – sei es hier an der Charité oder bei Menschen in meinem Umfeld. Allein damit ist schon viel gewonnen.
Interviewerin:
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Luis:
Ich bin sehr glücklich in meiner Partnerschaft. Das ist ein großes Thema, das ich weiter pflegen möchte. Irgendwann möchten wir vielleicht auch eine Familie gründen, also Kinder bekommen. Das wäre mir schon wichtig – meiner Partnerin noch mehr. Aber das ist nicht unmittelbar geplant; es hat noch Zeit.
Interviewerin:
Entschuldigen Sie die direkte Frage: Macht Ihnen das keine Sorgen, was den Umgang mit einer potenziellen Tochter angeht?
Luis:
Also, wenn sie nicht drüber nachdenken würde, wäre das merkwürdig. Natürlich gibt es Überlegungen dazu. Wenn wir eine Tochter bekommen, ist es möglich, dass ich mich von ihr angezogen fühle – meine Neigung schließt das nicht grundsätzlich aus. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir einen guten Umgang damit finden.
Wenn wir einen Jungen hätten, wäre es ohnehin gar kein Thema. Wenn es ein Mädchen wird, ist es auch nur für einen gewissen Altersabschnitt relevant. Und ich glaube, solange wir offen darüber reden, können wir auch Vereinbarungen treffen. Beispielsweise würde ich in bestimmten Situationen vielleicht Abstand halten. Und weil meine Partnerin Bescheid weiß, wäre das alles natürlich eingebettet in einen offenen, bewussten Umgang. Viele Leute mit pädophiler Neigung haben eigene Kinder, ohne dass etwas passiert. Das ist eine Herausforderung, aber ich bin sicher, das ist machbar.
Interviewerin:
Wissen andere Familienmitglieder Bescheid?
Luis:
Nein, bisher nur meine Mutter und eben meine Partnerin. Ansonsten habe ich nicht vor, es groß bekannt zu machen. Ich kann mir vorstellen, es vielleicht mal einem sehr guten Freund zu erzählen, aber es gibt keinen konkreten Plan. Auch in meinem Alltag habe ich wenig Kontakt zu Minderjährigen, sodass keine relevanten Risikosituationen entstehen.
Interviewerin:
Sonstige große Lebenspläne?
Luis:
Nicht sehr konkret. Ich hätte gern irgendwann einen Garten oder vielleicht sogar ein eigenes Haus, um etwas anzupflanzen. Beruflich denke ich darüber nach, mich langfristig zu verändern und etwas Sinnstiftendes zu tun. Ich fühle mich moralisch stark gefordert, seit ich mich so sehr mit meiner Neigung und meinen Werten auseinandergesetzt habe. Aber das hat Zeit, ich bin ja erst 25.
Interviewerin:
Gibt es noch Botschaften, die Sie loswerden möchten? An die Gesellschaft oder andere Betroffene?
Luis:
Ja, vor allem an Menschen, die vielleicht darüber nachdenken, hier oder bei einem ähnlichen Projekt Hilfe zu suchen. Ich habe es zwar als anstrengend beschrieben, aber mir ging es in den letzten zwölf Monaten fast jede Woche ein bisschen besser als in der Woche davor. Ich habe nicht nur im Bereich Sexualität dazugelernt, sondern mich insgesamt weiterentwickelt. Es ist eine sehr lohnende Arbeit an sich selbst.
Wer mit seiner pädophilen Neigung leidet und überlegt, sich an „Kein Täter werden“ zu wenden, sollte es unbedingt tun. Ich bin überzeugt, dass man es nicht bereut.
Interviewerin:
Das ist ein wunderschönes Schlusswort. Vielen Dank und alles Gute für Ihr weiteres Leben!
Herzlichen Dank noch einmal an Luis für seine Schilderungen. Wir wünschen ihm alles Gute. Auf Wiederhören!