Projektteilnehmer LUIS (pädo-, hebe- und teleiophil) im Interview mit KTW

21. Oktober 2019

Teil I des Gesprächs mit dem Projektteilnehmer „LUIS“. Er fühlt sich sexuell zu weiblichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen hingezogen (ist also pädo-, hebe- und teleiophil). Er berichtet über seine sexuelle Präferenz, seinen langen Weg zum Outing und zu dem Therapieangebot bei „Kein Täter werden“. Und darüber, wie große Teile der Gesellschaft Pädophile stigmatisieren. Teil II folgt in der 4. Folge im November. Natürlich wurde die Stimme von LUIS zwecks Anonymisierung nachgesprochen.

Transkript

Podcast des Präventionsprojekts „Kein Täter werden“ vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité Berlin.

In dieser Folge hören Sie Teil 1 eines Gesprächs mit Luis. Luis ist Projektteilnehmer von „Kein Täter werden“. Er ist pädo-, hebe- und teleiophil, fühlt sich also sowohl vom kindlichen, jugendlichen als auch erwachsenen Körperschema angezogen. Das bewegende Gespräch wurde verschriftlicht und anschließend nachgesprochen, um die Anonymität von Luis zu wahren. Teil 2 hören Sie in der nächsten Podcast-Folge.

Herzlichen Dank an dieser Stelle an Luis für seine offenen Schilderungen.

Interviewerin:
Neben mir sitzt Luis, Teilnehmer einer der Therapiegruppen des Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“. Erstmal vorab: Wie alt sind Sie, welche sexuelle Präferenz haben Sie, und wie haben Sie überhaupt von uns erfahren?

Luis:
Ich bin gerade 25, und ich bin – wie man wissenschaftlich korrekt sagt – pädo-, hebe- und teleiophil.

Interviewerin:
Okay, können Sie das noch kurz übersetzen?

Luis:
Genau, wenn man das übersetzt, heißt das, ich fühle mich angezogen von weiblichen kindlichen Körperschemata, jugendlichen Körperschemata und erwachsenen Frauen. Ich habe also nicht nur eine klare Ausrichtung auf Kinder oder Jugendliche, sondern eine gemischte Neigung, die sich über die ganze Altersbandbreite erstreckt – allerdings nur in Bezug auf Mädchen bzw. Frauen, nicht auf Männer oder Jungs.

Interviewerin:
Und wann haben Sie festgestellt, dass das ein Thema ist?

Luis:
Die Frage kam schon ein paar Mal in der Therapie auf, und ich finde sie schwer zu beantworten. Ich glaube, ich habe es irgendwann in der Pubertät bemerkt – so zwischen 13 und 16. Ich kann es nicht genau sagen, weil ich es nie so richtig realisiert, sondern lange verdrängt habe. Es gab keinen Moment, in dem ich dachte: „Aha, das zieht mich an, also bin ich pädophil.“ Es spielte sich eher unterschwellig ab und kam irgendwann in der Pubertät, aber da kann ich kein klares Datum nennen.

Interviewerin:
Aber es gab sicher einen Moment, in dem Sie zum ersten Mal bemerkt haben, dass Sie sich von Jüngeren angezogen fühlen?

Luis:
Irgendwann habe ich registriert, dass ich zwar auch Gleichaltrige anziehend finde, wie es in der Pubertät normal ist, aber eben auch jüngere Verwandte, zum Beispiel Cousinen. Oder wenn ich Fotos von Kindern irgendwo sah, interessierte mich das mehr, als ich es erwarten würde. Daran habe ich es festgemacht.

Interviewerin:
Weiß Ihre Familie davon? Denn wenn Sie sagen, dass Sie jüngere Verwandte attraktiv fanden, könnte das ja schon ein Problem werden – für Sie selbst, aber natürlich auch für die anderen.

Luis:
Zum Problem wurde es in der Zeit nicht. Ich war mir ja selbst sehr lange nicht sicher, ob ich wirklich diese Präferenz habe. Ich saß ja nicht bewusst da und dachte: „Oh, ich bin pädophil – darüber muss ich jetzt reden.“ Deshalb wusste das auch niemand, bis vor etwa einem Jahr. Ich habe es einfach nie für nötig gehalten, jemanden einzuweihen.

Interviewerin:
Hatten Sie in Ihrer Jugend, also als Teenager, Beziehungen zu Gleichaltrigen?

Luis:
Nein, das lag aber weniger an meiner Neigung. Ich hatte generell Schwierigkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen. Ich war übergewichtig und unsicher, habe mich in der Klasse eher als Außenseiter gefühlt und war nicht der Typ für Partys und Alkohol. Erst im Studium wurde ich sozial lockerer. Und wenn man eh schon als Außenseiter gilt, ist es schwer, eine Beziehung zu finden.

Interviewerin:
Heute sieht man Ihnen nicht an, dass Sie mal übergewichtig waren.

Luis:
Ja, das macht mich natürlich stolz. Man kann sich schon stark verändern, wobei das bei mir ein längerer Prozess war. Unter anderem habe ich dann auch mal angefangen, Alkohol zu trinken, was durchaus seine lockerende Wirkung hatte. Nicht nur positiv, aber eben auch nicht nur negativ.

Interviewerin:
Haben Sie sich bisher jemandem anvertraut? Also außerhalb dieses geschützten Raumes hier?

Luis:
Ja, habe ich. Wie gesagt, ich hatte das vorher sehr lange verdrängt. Aber vor etwa einem Jahr bekam ich aus heiterem Himmel eine krasse Panikattacke. Ich war allein und auf einmal fiel mir auf, dass ich mit niemandem über dieses Thema reden kann. Das hat mich total aufgewühlt. Ich bin eigentlich gewohnt, bei jedem Problem zu irgendwem zu rennen und es zu besprechen. Doch hier war mir klar: Das geht nicht. Und ich bin richtig durchgedreht.
Am nächsten Tag habe ich meiner Partnerin davon erzählt – meiner Freundin. Für sie kam das natürlich völlig überraschend. Und dann habe ich es auch gleich meiner Mutter gesagt. Es war wie ein Befreiungsschlag. Ich habe also innerhalb eines Morgens meiner Freundin und meiner Mutter alles gebeichtet und außerdem bei diesem Präventionsprojekt angerufen.

Interviewerin:
Sie hatten also eine Partnerin, und trotzdem hatten Sie in dem Moment eine Panikattacke. Gab es einen speziellen Auslöser?

Luis:
Keinen konkreten Trigger. Ich denke, in der Zeit wurde meine Beziehung immer „ernsthafter“. Wir waren schon ein paar Jahre zusammen, hatten beide Jobs, wollten zusammenziehen. Da lief eigentlich alles super – außer dass meine pädophile Neigung immer drängender wurde. Ich hatte mich nie richtig mit ihr auseinandergesetzt; sie war einfach da. Ich denke, diese Diskrepanz zwischen „Alles ist gut“ und „Es ist doch nicht alles gut“ wurde immer größer. Das hat sich schließlich in der Panikattacke entladen.

Interviewerin:
Wie hat Ihre Partnerin darauf reagiert?

Luis:
Sie hat es, glaube ich, so gut aufgenommen, wie man es eben aufnehmen kann. Natürlich war sie geschockt und hat sich vermutlich alles Mögliche gedacht, etwa: „Oh Gott, ich bin mit einem Pädophilen zusammen“, oder „Bin ich nicht attraktiv genug?“ – das ist ja alles normal. Aber wir haben zum Glück sehr intensiv geredet. Sie ist ein rationaler Mensch, hat sich informiert, Dokumentationen geschaut und verstanden, dass ich mir diese Neigung nicht ausgesucht habe. Es war nicht leicht für sie, aber sie hat sehr rational reagiert, was uns geholfen hat.

Interviewerin:
Hat das Auswirkungen auf Ihre Sexualität in der Beziehung gehabt?

Luis:
Sicherlich, aber eher positive. Ich bin ja nicht ausschließlich pädophil, sondern empfinde auch Anziehung gegenüber erwachsenen Frauen. Insofern musste sie nicht befürchten, ich fände sie körperlich gar nicht attraktiv. Wir mussten also keine völlig neue Beziehungsform entwickeln. Klar, es hat intensive Gespräche gegeben. Auch in der Therapie gab es immer wieder Themen, die wir zusammen besprochen haben. Aber letztlich reden wir jetzt offener über Sex und unsere Wünsche. Das hat uns eher genützt.

Interviewerin:
Ihre Partnerin ist also in das Therapiesetting einbezogen?

Luis:
Ja, wir haben zum Beispiel Paargespräche gehabt. Zudem gehe ich wöchentlich in die Gruppentherapie, und wenn ich nach Hause komme, haben wir ein Ritual, wo wir den Termin besprechen. Mal ist es nur ein kurzes Gespräch, mal sehr intensiv. Außerdem gibt es eine Angehörigengruppe, in die sie auch geht. Danach tauschen wir uns ebenfalls aus. Das ist anstrengend, aber wir wollen eben, dass es nicht wieder zu einem Tabuthema wird.

Interviewerin:
Als Sie an diesem Morgen bei „Kein Täter werden“ angerufen haben, hatten Sie vorher schon mal etwas von diesem Projekt gehört?

Luis:
Ich hatte keine Ahnung, was es mit Pädophilie im Detail auf sich hat. Ich wusste nichts über Diagnosen oder unterschiedliche Formen. Ich hatte bis dahin noch nie „Pädophilie“ gegoogelt oder so. Aber ich kannte das Projekt vage aus der Werbung – ich hatte mal ein Plakat gesehen, war damals aber minderjährig und bin einfach vorbeigelaufen.
Nach der Panikattacke habe ich mir aber alles genau angeschaut, gegoogelt, gelesen, dass es exklusive und nicht-exklusive Formen gibt. Das war für mich eine Erleichterung, weil ich merkte: Es muss nicht heißen, dass ich nur auf Kinder stehe und deshalb meine Beziehung zerstört ist. Es war also weniger schwarz-weiß, als ich vorher dachte.

Interviewerin:
Haben Missbrauchsabbildungen für Sie irgendwann eine Rolle gespielt?

Luis:
In meiner Jugend gar nicht. Aber im frühen Studium habe ich irgendwann angefangen, solches Material zu suchen und zu konsumieren. Das war ein riesiger Konflikt für mich, weil das ja eine Straftat ist. Und dieser zusätzliche Konflikt hat mein Problem noch verschärft. Das hat die Spannung zwischen „In meinem Leben läuft vieles gut“ und „Ich habe diese Neigung und handele irgendwie falsch“ enorm verstärkt.
Mit meinem Outing habe ich damit dann aber aufgehört, und seitdem bin ich nicht rückfällig geworden. Ich hoffe sehr, dass es so bleibt.

Interviewerin:
Wie sehen Sie das öffentliche Bild über Pädophile? Fühlen Sie sich dadurch stigmatisiert?

Luis:
Ja, es gibt da ganz klar ein Stigma. Und ich verstehe, warum: Die meisten Menschen kommen nur im Zusammenhang mit schrecklichen Missbrauchsfällen damit in Berührung. Niemand hat einen Grund, sich tiefer mit dem Thema zu beschäftigen. Dennoch finde ich es unbefriedigend und frustrierend, weil man sich seine Neigung nicht aussucht. Ich habe einen sehr liberalen Blick auf Sexualität; das gilt etwa auch für Homosexualität. Und so wie ich es wütend macht, dass jemand homosexuellen Menschen ihre Liebe abspricht, ärgert mich auch das Stigma um die pädophile Neigung.
Gleichzeitig denke ich, dass das Stigma vermutlich manche Menschen daran hindert, sich rechtzeitig Hilfe zu holen. Das ist eine traurige Realität und ändert sich nicht von heute auf morgen.

Interviewerin:
Stört Sie in diesem Zusammenhang der Titel unseres Projekts „Kein Täter werden“?

Luis:
Das ist eine gute Frage. Ich habe keine abschließende Meinung, aber tendiere zu „Ja, etwas schon.“ Die Erstkontakte am Telefon waren super, gar kein Problem. Aber wenn man auf der Website ist oder auf ein Plakat schaut, liest man gleich „Kein Täter werden.“ Das klingt natürlich wie eine Warnung: „Pass auf, sonst wirst du Täter!“
Ich verstehe durchaus, dass der Name für die Öffentlichkeitsarbeit sinnvoll ist, weil er die Präventionsidee betont und deutlich macht: „Wir wollen verhindern, dass es zu Übergriffen kommt.“ Das schafft Akzeptanz in der Gesellschaft. „Pädophilen-Hilfegruppe“ oder so wäre vermutlich noch abschreckender. Also ich weiß nicht, was besser wäre. Es ist jedenfalls nicht so schlimm, dass es mich davon abgehalten hätte anzurufen. Aber manchmal klingt es etwas drastisch.

Interviewerin:
Vielen Dank für diese offenen Einblicke. Den zweiten Teil des Gesprächs mit Luis können Sie in der nächsten KTW-Podcast-Folge hören. Auf Wiederhören.

2025-01-27T12:20:43+01:00
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