Was macht das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“?
26. August 2019
Was ist das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ am Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité in Berlin? Wie wird hier gearbeitet, welche Ziele gibt es für die Zukunft? Diese Fragen beantworten der Gründer des Präventionsprojekts Prof. Dr. Dr. Klaus M. Beier sowie zwei Therapeutinnen aus dem Erwachsenenprojekt (PPD) und aus dem Jugendlichenprojekt (PPJ).
Transkript
Podcast des Präventionsprojekts „Kein Täter werden“ vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité Berlin.
Das Präventionsnetzwerk Kein Täter werden bietet ein kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot für Menschen, die therapeutische Hilfe suchen, weil sie sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und darunter leiden.
Die betroffenen Personen erhalten Unterstützung, um mit ihrer pädophilen oder hebephilen Neigung Leben zu lernen und ein zufriedenes Leben zu führen. Ziel ist es, sexuelle Übergriffe zu verhindern. Das Projekt wurde von Professor Beier im Jahre 2005 unter dem Titel Präventionsprojekt Dunkelfeld in Berlin gestartet. Mittlerweile gibt es in vielen deutschen Städten Standorte.
In der ersten Folge des Podcasts schildert Professor Beier, warum das Projekt entstanden ist, wie es gewachsen ist und welche Herausforderungen es für die Zukunft gibt. Und zwei Psychologinnen aus dem Erwachsenen- und dem Jugendprojekt beantworten Fragen zur Pädophilie und der Therapie.
Entstehung und Ziele des Projekts
- Gründung 2005
- Wissenschaftliche Grundlagen
- Fokus auf Prävention
Interviewerin: Warum gibt es das Präventionsprojekt Kein Täter werden und wie ist es überhaupt entstanden?
Professor Beier: Das Projekt Kein Täter werden gibt es, weil es die Pädophilie gibt. Das ist ein Störungsbild, was dadurch gekennzeichnet ist, dass Menschen das kindliche Körperschema als sexuell erregend erleben. Und durch Forschung ist bekannt geworden, dass diese Besonderheit des sexuellen Erlebens im Jugendalter entsteht und dann über das weitere Leben stabil bleibt und für viele Menschen mit Leidensdruck verbunden ist. Das wiederum bedeutet, dass man diese Menschen erreichen kann, wenn man den Leidensdruck aufgreift und ihnen vermittelt, dass man sie nicht wegen der Neigung bewertet, sondern das Verhalten versucht so zu kontrollieren, dass es nicht zu Fremdschädigungen kommt, also Kinder nicht missbraucht werden oder Missbrauchsabbildungen nicht genutzt werden. Das ist der Startpunkt gewesen im Jahr 2005, also datengestützt durch wissenschaftliche Erkenntnisse, der Versuch, diese Gruppe mit einem Therapieangebot zu motivieren, sich ihrer Problematik verantwortungsbewusst anzunehmen.
Wachstum und Finanzierung
- Bundesweite Ausweitung
- Finanzierung durch Stiftungen und Krankenkassen
- Kostenlose Behandlung
Interviewerin: Das Netzwerk, wie ist es gewachsen? Es sind ja immer mehr Standorte hinzubekommen. Mit welchen Widerständen hatten Sie auch zu kämpfen?
Professor Beier: Nachdem anfänglich Zweifel überwogen, das betraf die Fachöffentlichkeit, aber auch die Öffentlichkeit, haben die Betroffenen selber gezeigt, dass sie Interesse haben an einem solchen Angebot. Und wir haben relativ schnell viele Menschen kennengelernt, die eigenmotiviert unsere Hilfe suchten. Und das war dann ein zunehmend überzeugendes Argument. Wir konnten also sagen, das Angebot wird genutzt und es wurde dann auch bundesweit nachgefragt. Das heißt, die Menschen reisten nach Berlin, um es in Anspruch zu nehmen. Das wiederum hat den Anlass gegeben, in anderen Bundesländern dafür zu sorgen, dass dort auch Anlaufstellen etabliert wurden.
Interviewerin: Nun ist die Therapie für die Patienten, die hierher kommen oder an die Standorte kostenlos. Aber wie wird das ganze Projekt finanziert?
Professor Beier: Das Projekt war von Anfang an drittmittelfinanziert über eine Stiftung zunächst, die Volkswagen Stiftung, die sich bereit erklärt hat, diesen Versuch zu wagen. Und später hat dann das Bundesjustizministerium segensreich gewirkt, indem es die Weiterfinanzierung sicherstellte. Das hieß, für die Betroffenen sind nie Kosten entstanden, außer natürlich Reisekosten, insbesondere wenn aus anderen Bundesländern die Anreise erfolgte. Und wir haben dann seit 2017 eine gesetzliche Situation, nachdem die Krankenkassen in einem Modellvorhaben die Kosten für die Anlaufstellen, also für das Netzwerk Kein Täter werden, übernehmen. Das dauert bis 2022 und währenddessen wird das ganze Projekt ja auch evaluiert. Wie kann man sich das vorstellen? Und währenddessen wird das ganze Projekt ja auch evaluiert.
Interviewerin: Wie kann man sich das vorstellen?
Professor Beier: Es gibt bei der Erfolgsmessung im Grunde drei wichtige Bereiche. Das eine ist die psychische Gesundheit. Man muss sich klarmachen, wer eine solche Besonderheit aufweist, also kindliche Körperschäme als sexuell erregend wahrnimmt und damit hadert und Leidensdruck entwickelt, der versteckt sich auch, der hat Angst vor sozialer Ausgrenzung. hadert und Leidensdruck entwickelt. Der versteckt sich auch, der hat Angst vor sozialer Ausgrenzung. Das führt zu psychischen Symptomen wie depressiven Auslenkungen, Ängsten, sozialen Phobien, sozialer Isolation. Dem versuchen wir entgegenzuwirken, die psychische Gesundheit also zu adressieren, dann Risikofaktoren zu beeinflussen, die dazu führen können, dass die Betreffenden diese Fantasie noch ausleben. Das wollen ja wir vermeiden, das wollen die Betroffenen auch vermeiden. Und man kann diese Risikofaktoren messen, und zwar vor einer Behandlung und nach der Behandlung. Und dann kann man sich anschauen, ob auf der Verhaltensebene es zu Problemen kam, wie sah das vor der Behandlung aus und wie sieht das danach aus. Und hier haben wir zeigen können, dass wir die Risikofaktoren beeinflussen können, dass wir psychische Gesundheit verbessern können, dass wir Verhaltensauffälligkeiten einschränken können. Und das gilt auch für das Projekt seit 2014, das wir Jugendlichen angeboten haben, weil wir ja wissen, das Problem entsteht im Jugendalter und wir erreichen auf diesem Wege auch Jugendliche, die dann verhaltensstabil werden, das heißt keine Übergriffe begehen, keine Missbrauchsabbildung nutzen.
Interviewerin: Es gibt auch ein Angebot, das sich international auch an Patienten wendet, die eben in ihren Ländern keine Möglichkeit haben, Hilfe zu bekommen. Wie läuft das ab?
Professor Beier: Wir haben festgestellt, dass sich sehr viele Menschen aus anderen Ländern an uns wandten und in der gleichen Situation sind wie die deutschen Betroffenen, die ja nur die Möglichkeit haben, unsere Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dann gibt es unterschiedliche gesetzliche Situationen in den Ländern dieser Welt. Und die Nutzung jetzt des Internets kann man auch positiv zur Verfügbarmachung eines Selbsthilfetools, eines Online-Programms, in dem man Diagnostik und Behandlung online in Anspruch nehmen kann. Wir haben das Troubled Desire genannt und halten es zurzeit in vier verschiedenen Sprachen vor. Es wird auch in diesen Sprachen genutzt. Wir wollen das ausbauen. Weitere Sprachen, also Übersetzungen, werden folgen. Und die Idee dahinter ist ziemlich einfach. Wir wüssten jetzt nicht, warum Kinder in anderen Ländern nicht dieselben Gefahren und dieselben Folgen auch von Missbrauchshandlungen aufweisen sollten. Ich wüsste nicht, welchen Unterschied es zwischen deutschen und portugiesischen Kindern geben sollte. Und wir haben eben das Problem der weltweit verfügbaren Missbrauchsabbildung. Wenn wir also in anderen Ländern eine hohe Nutzung haben und eine Herstellung auch zum Teil straffrei möglich ist, dann erhöht sich natürlich die Angebotsseite weltweit. Insofern haben wir ein Interesse daran, die Problematik auch international einzudämmen.
Definition und Diagnose
- Unterscheidung Pädophilie und Hebephilie
- Entwicklung im Jugendalter
- Stabilität der Präferenz
Die Pädophilie ist eine sexuelle Präferenz und bezieht sich auf die Präferenz für das Körperschema des Gegenüber. Und dieses Körperschema definieren wir in der Sexualwissenschaft immer in Bezug auf die pubertäre Entwicklung. Das heißt, man kann eine sexuelle Präferenz haben für ein Körperschema, was sich vor der Pubertät befindet, ein Körperschema, was sich in der frühen Pubertät befindet, in der späten oder nach der Pubertät oder auf einen Körper, der mit der Pubertät durchlaufen hat und abgeschlossen hat. Und die Pädophilie bezieht sich, wie gesagt, auf die Präferenz für das vorpubertäre Körperschema. Das heißt, es gibt keine Anzeichen einer pubertären Entwicklung, die da zum Beispiel bei Mädchen sind, die Menstruation, Schambehaarung, Brustknospung, bei Jungs wäre das der Stimmbruch, ebenfalls auch die Schambehaarung, die Verfärbung der Genitalien etc. Das ist erstmal eine sexuelle Präferenz, die kann exklusiv (ausschließlich) bestehen. Es gibt aber eben auch ganz viele Mischtypen der Pädophilie. Die Hebephilie zeichnet sich aus durch die Präferenz für das frühpubertäre Körperstadium, also tatsächlich nicht in der spät- oder mittleren Pubertät, sondern wirklich die frühe Pubertät. Also tatsächlich nicht in der spät- oder mittleren Pubertät, sondern wirklich die frühe Pubertät. Und das sind dann zwei Diagnosen, genau so, dass sich Pedo- und Hebephilie eben voneinander abgrenzen, weil das eine eben die Präferenz für das vorpubertäre und das andere für das frühpubertäre Körperschema ist. Es gibt bei der Präferenz für das Körperschema ganz viele Mischformen. Die Mischformen kommen tatsächlich auch häufiger vor. Die Mischformen kommen tatsächlich auch häufiger vor. Und da sehen wir auf der einen Seite, dass es Menschen gibt, die sowohl das vor- als auch das frühpubertäre Körperschema in ihrer Präferenz haben. Und dann haben wir aber eben auch noch die Menschen, die zusätzlich zu der Präferenz für Kinder auch noch die Präferenz für das erwachsene Körperschema da haben. Und da sprechen wir dann in einem klinischen Terminus von einer nicht exklusiven Pädophilie oder einer nicht exklusiven Hebephilie, wenn zusätzlich zur Präferenz für das Kind eben auch eine Ansprechbarkeit durch das erwachsene Körperschema besteht. Man merkt ungefähr mit Anfang der Pubertät, wenn man so erste sexuelle Gedanken bekommt, erste Träume im Alltag, so diese typischen Tagträume, man merkt, irgendwie fühlt man sich zu anderen Menschen hingezogen, berichten unsere Patienten und das zeigt sich auch in der Forschung, dass die ungefähr im Alter von 13, 14 merken, irgendwie bleibt in meiner Fantasie, in meiner Wunschvorstellung das Gegenüber, was ich präferiere, kleiner als bei meinen Freunden, bei meinen Schulkameraden. präferiere kleiner als bei meinen Freunden, bei meinen Schulkameraden. Also ganz typische Beispiele sind, dass die berichten, ich habe irgendwie immer noch in der Fantasie die Nachbarstochter, die ist neun Jahre alt, die hat keine Anzeichen von Pubertät in ihrem Körperschema und meine Freunde erzählen mir, dass sie die Stars aus den Medien irgendwie attraktiv finden, dass sie die Klassenkameraden, die gleich alt oder älter sind, attraktiv finden. Und ich merke, da gibt es einen Unterschied zu meinen Freunden. Was wir im Erwachsenenprojekt häufig merken, ist, dass die Patienten, die zu uns kommen, sich beim Projekt vorstellen, auch sagen, dass sie früh eben schon merken, dass es da eine Ansprechbarkeit gibt, aber es ganz lange noch die Hoffnung gibt, dass sich das sozusagen verwächst. Was dann der Grund ist, wenn sie erst so sehr spät, Mitte 30, Anfang 40 zu uns kommen, dass eben ganz lange vielleicht auch noch die Hoffnung bestand, dass sich das eben auswächst. Und viele erzählen auch, sowohl die Erwachsenen als auch bei uns die Jugendlichen, dass sie auch das nicht thematisiert haben, also dass sie auch darüber nicht gesprochen haben mit Freunden oder Familien, weil sich das komisch angefühlt hat und weil eben diese Hoffnung, das geht schon wieder weg und ich bin ja selber noch sehr, sehr jung und ich werde schon irgendwie auch die Gleichaltrigen oder Erwachsenen attraktiv finden, das wird schon irgendwann eintreten, sobald ich selber erwachsen bin. Basierend auf den bisherigen Daten müssen wir davon ausgehen, dass die sexuelle Präferenz sowie jede sexuelle Präferenz weitestgehend stabil bleibt. Sie kann sich natürlich in ihren Intensitäten ändern, sie kann sich auch in der Art, wie ich meine sexuelle Präferenz auslebe, ändern. Also das, was im Lebensverlauf sehr wechselhaft ist, ist letztendlich das sexuelle Verhalten, wovon wir aber ausgehen müssen, ist, dass die Präferenz an sich, das was da ist, das was ich präferiere, dass das stabil ist. Wie stark ich das präferiere, wie stark meine Impulse sind, die mit meiner Präferenz einhergehen, das ist lebensphasisch sehr variabel. Und gleichzeitig ist natürlich anzumerken, dass wenn ich einen Jugendlichen, der selber noch mitten in seiner Entwicklung steckt, der kognitiv auch noch nicht voll ausgereift ist, der emotional noch ganz viel zu erleben hat, sich weiterzuentwickeln hat, natürlich mit einem anderen, eher entwicklungsbegleitenden Fokus mich mit ihm unterhalte oder das versuche, mit ihm zu besprechen, welche Anteile in seinen Fantasien da sind und auch zu schauen, wie läuft das, wie entwickelt sich das innerhalb der nächsten Jahre. Gibt es noch Anteile, die vielleicht dazukommen? Gibt es Anteile, deren Bedeutung verschwindet? Trotzdem, wie er schon gesagt hat, gibt es keine Hinweise darauf, dass sich das in irgendeiner Form radikal verändert. Also letztendlich kommt der Leidensdruck unter anderem auch dadurch, dass die Präferenz der Pädophilie stark stigmatisiert ist in unserer Gesellschaft und dass es in der öffentlichen Wahrnehmung selten eine Differenzierung gibt zwischen der Präferenz und dem Verhalten aufgrund einer Präferenz beziehungsweise dem sexuell ganz verletzenden Verhalten gegenüber Kindern. Das wird häufig alles in einen Topf geworfen. Das Verhalten verurteilen wir ganz stark. Wir grenzen uns ab von sexuellem Kindesmissbrauch, der Nutzung von Missbrauchsabbildung oder auch der sexuellen Kontaktanbahnung über das Internet in Bezug auf Kinder. Das sind alles Verhaltensweisen. Der Leidensdruck bei unseren Patienten entsteht eben genau aus einer undifferenzierten Wahrnehmung zwischen Präferenz und sexuellem Verhalten. Und wir haben viele Patienten, die sich hier vorstellen mit anderen komorbid auftretenden Störungen. Wenn ich aufgrund einer Präferenz eine gesellschaftliche Stigmatisierung wahrnehme, mich nicht traue, mich zu offenbaren, präventive Hilfe in Anspruch zu nehmen, weiß, dass ich mich nicht mitteilen kann, weil ich mit Vorverurteilungen zu rechnen habe, mit sozialem Ausschluss, dann sind das unter Umständen Bedingungen, die zu weiteren Folgestörungen führen, wie zum Beispiel Depressionen, Angststörungen, Substanzmissbrauch. Das heißt, die Menschen, die sich bei uns im Projekt vorstellen, haben auch eine sehr viel höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie diese Störungen ebenfalls entwickeln, als im Vergleich zur normalen Bevölkerung. Genau, und nochmal zu dem wichtigen Punkt, den wir hier auch nochmal wirklich unterstreichen wollen. Sexueller Missbrauch wird zu 60 Prozent von Nicht-Pädophilen begangen. Oder sagen wir zwischen 50 und 60 Prozent. Ich glaube, das ist ganz vielen Menschen auch nicht bewusst. Da ist eben schnell die Gleichsetzung Pädophilie gleich Kinderschänder, um es mal ganz drastisch zu sagen. Ja, so etwa die Hälfte, grob die Hälfte aller Menschen, die in die Vollzüge kommen wegen sexuellem Kindesmissbrauch, haben eine Pädophilie bzw. haben keine Präferenz für Kinder. Nichtsdestotrotz ist und bleibt die sexuelle Präferenz für Kinder ein bedeutender Risikofaktor, weil sie das Risiko erhöht erneut und wiederholt, sexuellen Kindesmissbrauch zu begehen. Das heißt, wir haben da eine Risikogruppe, die aufgrund der Präferenz ein erhöhtes Risiko zeigt, tatsächlich auch die Präferenz in Verhalten umzusetzen, weil es eben Impulse gibt, die in diese Richtung führen. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch ganz viele andere motivationale Hintergründe gibt oder Erklärungen, warum Menschen sexuellen Kindesmissbrauch begehen. Das ist eben nicht nur in der Präferenz begründet. Das könnten schwerwiegende Persönlichkeitsstörungen sein, das können andere Präferenzmuster sein, die auf Kinder leichter anwendbar sind. Das kann auch, wenn es vor eine geistige Behinderung zum Beispiel vorliegt, dass da auch Altersgrenzen verschwimmen. Das können eben so ganz hochdysfunktionale familiäre Systeme, wo eher sowieso missbräuchliche Strukturen vorherrschen, die vielleicht auch mit Gewalt, Missbrauch, einhergehen, all das könnten mögliche Erklärungen sein, warum jemand sexuell übergriffig wird auf ein Kind. Und bei den Jugendlichen ist vor allem auch noch anzumerken, dass die kürzere Altersdistanz zu Kindern eben auch eigene Entdeckung von Sexualität vielleicht mal eher auf ein Kind übertragen, weil das leichter manipulierbar ist, weil es leichter erreichbar ist, auch so im Kontext von Babysitting oder in Vereinen oder in welcher Form auch immer. Und auch da muss nicht immer, und die Zahlen sind für die Erwachsenen wie die Jugendlichen gleich, eine Präferenz als Hauptmotivator vorliegen, sondern kann im Zweifel auch gar nicht bestehen, sondern es geht um andere Bedürfnisse, die erfüllt werden sollen.
Wir haben letztendlich zwei wichtige Ziele im Projekt. Das ist auf der einen Seite natürlich, den Leidensdruck zu verringern bei Menschen, die eine Präferenz haben für Kinder und eben auch die Verhaltenskontrolle zu erhöhen, sodass wir präventiv eben auch Kinderschutz betreiben können. Das sind die beiden Hauptziele, die wir mit unserem Projekt verfolgen, weil eben gerade die Nichtakzeptanz, die Nichtintegration der Präferenz zu vielen anderen psychischen Beeinträchtigungen führt und wiederum die nicht etablierte Verhaltenskontrolle zu sexuell grenzverletzendem Verhalten, zu sexueller Gewalt gegenüber Kindern. Wir können alle Menschen, die eine Präferenz haben für das kindliche Körperschema, sei es nun, vor- oder frühpubertär, und für die halten wir ein Behandlungsangebot bereit. Und es ist natürlich auch eine Frage der Therapiemotivation. So wie in jeder anderen Psychotherapie braucht es eine adäquate Therapiemotivation für die Therapieaufnahme. Wenn jemand nicht zur Therapie motiviert ist, können wir ihn sozusagen auch nicht zwingen. Aber bei bestehender Therapiemotivation mit Indikation, nämlich der Präferenz für das Kind, können wir eine Therapie anbieten. Und da müssen wir nochmal unterstreichen, die Pädophilie und die Hebephilie an sich ist nicht behandlungsbedürftig, sondern nur die pädophile oder hebephile Störung ist behandlungsbedürftig. Und das Ganze ist voneinander abgrenzbar, dass die Pädophilie und die Hebephilie an sich erstmal nur eine Präferenz ist. Geht die aber einher mit einem persönlich empfundenen Leidensdruck, sei es auf emotionaler Ebene, im sozialen Bereich, partnerschaftlich, beruflich oder mit der Gefahr, sexuell übergriffig zu werden, dann reden wir und erst dann reden wir von einer gestörten sexuellen Präferenz.
Besonderheiten bei verschiedenen Patientengruppen
- Behandlung von Jugendlichen
- Einbindung von Angehörigen
- Geringe Anzahl weiblicher Patienten
Seit der Gründung des Projektes haben sich vergleichsweise viel, viel, viel weniger Frauen bei uns gemeldet, telefonisch oder per E-Mail, um ein erstes Gespräch auszumachen. Also wir reden da tatsächlich von etwa 20, um die 20 Frauen, 20 bis 30 Frauen, die sich bei uns gemeldet haben. Seit 2005. Seit 2005, genau. Das ist also in Relation zu jetzt mittlerweile über 3000 Männern, die sich gemeldet haben, ein deutlicher Unterschied. Und von den Frauen, die den Kontakt zum Projekt gesucht haben und auch einen Termin vereinbart haben, sind wiederum nur sehr wenige gekommen. Und von denen, die sich hier vorgestellt haben, die zugänglich auch für ein diagnostisches Gespräch waren, war die Befürchtung selber, pädo- oder hebephil zu sein, eher einzuordnen in ein psychotisches Erleben oder in eine Zwangsstörung. Nichtsdestotrotz hatten wir im Laufe des Projektes auch Frauen, die sich hier vorgestellt haben, die die Indikation einer Pädo- oder Hebephilie erfüllt haben und eben auch Frauen, die sexuell übergriffig waren. Sei es, dass sie Missbrauchsabbildungen genutzt haben oder sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegenüber Kindern ausgeübt haben. Genau, und ergänzend, bei den Jugendlichen seit 2014 haben wir tatsächlich bisher kein einziges Mädchen gesehen. Es hatten sich im Verlauf zwei gemeldet, die aber nicht persönlich vorgestellt worden sind.
Therapeutisches Konzept
- Psychoedukation
- Einzel- und Gruppentherapien
- Medikamentöse Behandlung
- Nachsorgekonzept
Also wir haben recht viele Möglichkeiten der therapeutischen Versorgung innerhalb des Projektes und passen die sehr stark an die Bedürfnisse der Patienten an. Ein Standardvorgehen wäre, dass der Patient sich hier zur Diagnostik vorstellt, wo wir eben auch neben der forensischen Vorgeschichte, der sexuellen Vorgeschichte, der sozialen und psychiatrischen Vorgeschichte, aber eben auch alle soziodemografischen Daten speziell und fokussiert die Präferenzdiagnostik durchführen, um eben auch festzustellen, ob derjenige überhaupt die Indikationen für das Projekt erfüllt. Sollte dies der Fall sein, wird er zeitnah auch in erste psychoedukative Sitzungen eingeschleust. Wir haben eine Psychoedukationsgruppe.
Interviewerin: Was heißt das, Entschuldigung, für den Laien?
Therapeutin: Ja, das heißt für den Laien, dass wir einfach so in der Gruppe nochmal grundlegende Inhalte der Therapie besprechen. Viel definitorisch, was ist die Präferenz, was bedeutet das, wie definiert sich das, was ist sexueller Kindesmissbrauch, was sind Missbrauchsabbildungen, viele Informationen auch zu medikamentösen Behandlungen. Dann wird ein Therapierational erstellt, also was sind Risikofaktoren, was wird behandelt in der Therapie. Das ist letztendlich auch wie in jeder anderen Psychotherapie, dass die ersten Therapiestunden darauf verwendet werden, einen Grundbaustein für die Therapie zu legen. Und dann geht es in die Gruppen- oder Einzeltherapien, je nachdem. Und in den Gruppen- oder Einzeltherapien haben wir keine feste Zeit, die wir behandeln, sondern wir gucken eher nach den Bedürfnissen. Sind die Therapieziele des Patienten erreicht? Und wenn sie erreicht sind, dann ist die Therapie beendet. Genauso ist das auch bei den Jugendlichen von der Grundstruktur. Nur ergänzend, ist, dass wir sehr viel auch Bezugspersonen mit einbeziehen, Eltern, Sorgeberechtigte, Jugendhilfe, irgendwie assoziierte Personen, zum Beispiel Betreuer aus Einrichtungen oder auch ambulante mit Kinder- und Jugendpsychiatern oder Psychotherapeuten, weil die Jugendlichen ja noch in ganz anderen Systemen leben, nicht autonom leben, angewiesen sind auch ein Stück weit auf eine Offenbarung gegenüber ihren Bezugspersonen, die sozusagen bei uns auch sehr viel Raum kriegen und auch eine eigene Psychoedukation, wo es auch nochmal darum geht, auch Eltern zu erklären, wo sind rechtliche Grenzen, was ist überhaupt eine sexuelle Ansprechbarkeit, wie geht man damit auch als Familienangehörige um. Das ist, glaube ich, auch bei den Erwachsenen ganz wichtig. Da sind ja Partnerinnen mitunter betroffen, die aus allen Wolken fallen, wenn sie dann mitbekommen, oh, diese Neigung liegt davor und das wurde vielleicht lange auch im Verborgenen gehalten. Die grundständige Therapie im Projekt wird natürlich auch noch von weiteren Interventionen flankiert. So haben wir die Möglichkeit, bei bestehenden Partnerschaften Paartherapien, Paarberatungen anzubieten, sodass neben der Therapie die Patienten auch mit ihren Partnern und Partnerinnen bei uns therapeutische Angebote in Anspruch nehmen können. Es gibt das Angebot der Angehörigengruppe, wo Angehörige der am Institut angebundenen Patienten eben auch in einer eigenen Gruppe nur mit Angehörigen zusammensitzen können, um sich da über Themen auszutauschen. Aber wir haben natürlich auch andere Elemente, wie zum Beispiel die medikamentöse Triebreduktion, die auch noch simultan eingesetzt werden kann, wenn wir das Gefühl haben, dass es eben auch entweder zur Überbrückung notwendig ist, die sexuellen Impulse ein bisschen zu regulieren oder eben auch, um erste therapeutische Interventionen starten zu können, die es unter Umständen notwendig machen, dass dazu auch die Triebe reduziert sind, um an eigentliche Themen rankommen zu können. Man hört aber da auch immer wieder von starken Nebenwirkungen. Das ist wohlüberlegt und ist auf jeden Fall immer auf freiwilliger Basis. Wir haben mehrere Stoffklassen, die wir einsetzen, um eine Triebreduktion zu erreichen, die alle unterschiedliche Nebenwirkungen haben. Was aber auf jeden Fall der Fall ist, wir haben verschiedenste Ärzte hier bei uns im Team, die dann eben auch die Medikation betreuen mit regelmäßigen Laborwerten, Bluttests, einem Controlling, sodass wir das immer im Blick haben. Und es gibt auch keine Medikation, die dauerhaft gegeben werden muss, sondern immer auch in Balance mit den Nebenwirkungen erfolgt. Genau, und da ist aus der jugendlichen Perspektive nochmal ganz wichtig zu ergänzen, dass da die Vorgehensweise ein bisschen abweicht. Die Möglichkeiten sind geringer, aber es einfach mit dem Entwicklungsstand der Jugendlichen zu tun hat. Und wenn das in irgendeiner Form relevant wird bei einem Patienten, wird da auch kinder- und jugendpsychiatrische Fachexpertise mit ins Boot geholt, die sowieso mit beteiligt ist, um eben auch sicherzustellen, dass Entwicklungsstände und körperliche Faktoren mit bedacht werden und da unter dieser Expertise Medikation, wenn dann gegeben wird.
Interviewerin: Die gesamte Behandlungsdauer kann mehrere Jahre auch dauern?
Therapeutin: Das kann sehr unterschiedlich sein und kann sich natürlich auch über Jahre erstrecken, weil wir auch das Konzept der Nachsorge am Projekt haben. Das heißt, wenn Menschen oder Patienten die Therapien durchlaufen haben und im besten Falle erfolgreich abgeschlossen haben, haben wir natürlich auch weiterhin noch ein stützendes Angebot der Nachsorge, weil ja eben, wie vorhin auch schon erwähnt, die Präferenz ja eher etwas lebenslang Überdauerndes ist. sich ist letztendlich ja auch nicht erledigt. Also mit dem Abschluss der Therapie besteht ja nach wie vor noch die Präferenz. Wir arbeiten natürlich auf eine vollständige Verhaltenskontrolle hin, aber die Impulse, die mit der Präferenz einhergehen, sind ja nicht weg. Das heißt, wir bieten zur Stütze, man muss sich das vorstellen, es ist wie so eine Art Chronikerprogramm, eben als Stütze auch das Nachsorgekonzept an, dass in viel größeren Abständen die Patienten immer wieder auch ins Institut kommen, dort sich auch in Gruppen einfinden und wo nochmal Therapieinhalte aufgefrischt werden, wo sie mit Sorgen nochmal Anschluss finden und wir auch die Möglichkeit haben, wenn die Patienten merken, dass sie lebensphasisch doch nochmal eine intensivere Betreuung brauchen, wir das auch immer nochmal hochschrauben können. Sei es dann nochmal kurze Module einzuschieben, in einzeltherapeutischen Settings, oder die Frequenz zu erhöhen, auch nochmal Einzeltermine zu haben. Das ist alles möglich und an den Bedürfnissen der Patienten anpassbar.
Interviewerin: Und nehmen auch Jugendliche an solchen Nachsorgegruppen teil? Die haben ja sicher auch diese Altersspanne, dann auch ganz andere Dinge im Kopf und müssen in den Beruf starten und haben tausend Sachen zu regeln und für sich erstmal zu entdecken.
Therapeutin: Die Frage ist nicht so ganz leicht zu beantworten, dadurch, dass wir noch relativ jung sind und uns sozusagen erst fünf Jahre gibt. Das heißt, unsere Jugendlichen zum Großteil noch irgendwie therapeutisch angebunden sind. Was wir aber dann mit den 19- und 20-Jährigen, wenn die bei uns aufhören, thematisieren, ist, dass die sich dann, wenn sie merken, sie brauchen im Verlauf nochmal Unterstützung, natürlich jederzeit bei uns nochmal melden können, aber eben auch an die Standorte mit dem Erwachsenenprojekt direkt weitervermitteln und dort auch irgendwie eine Anbindung sicherstellen, dass sie da wieder Ansprechpartner haben, an die sie sich wenden. Aber vor allem sollen sie auch therapeutische Unterstützung in dem Bereich Verhaltenskontrolle mit den eigenen sexuellen Impulsen als einen wichtigen Baustein in ihrem Leben wahrnehmen, was auch zukünftig relevant sein kann. Weil, wie gerade gesagt, die interessieren sich für ihre Berufsausbildung, die interessieren sich im Leben erstmal anzukommen, die haben überhaupt nicht die Perspektivübernahmefähigkeit zu wissen, dass dieses Thema für die nächsten 40, 50 Jahre vielleicht für die noch relevant sein könnte und mit denen gemeinsam zu etablieren, immer wenn du merkst, du kommst an deine Grenzen, du brauchst Unterstützung, gibt es die und die Ansprechpartner, an die du dich dann auch Mitte 30 noch wenden kannst. Und nochmal gesagt, für die Patienten ist dieses Angebot kostenlos und es ist ganz klar, es gilt hier die ärztliche Schweigepflicht Schon beim ersten Kontakt wird eine sogenannte PIN erstellt. Das ist das, wie wir arbeiten, dass wir den Patienten eben die besagte PIN, so eine Identifikationsnummer, zuweisen. Das ist, glaube ich, für viele auch nochmal eine ganz wichtige Botschaft. Sie müssen sich hier nicht mit kompletten Namen outen. Sie können auch erstmal zum Schnuppern kommen und immer noch entscheiden, ob es für Sie das Richtige ist. Genau.
Zukunftsperspektiven
- Internationale Ausweitung
- Gesellschaftliche Integration
- Rolle der Pharmaindustrie
Interviewerin: Das ist schon eine ganze Menge, was hier geleistet wird. Aber gibt es noch etwas, was fehlt oder was Sie sich für die Zukunft an Aufgaben vorstellen oder auch an Forderungen haben an die Gesellschaft, an Politik, Pharmaindustrie oder auch Krankenkassen?
Professor Beier: Also da wir hier ein wirkliches Public-Health-Problem vor uns haben, eigentlich Global-Health, also die Gesellschaft im Ganzen ergriffen ist. Das kann man sich sehr schnell klarmachen durch die Häufigkeitsangaben für sexuellen Missbrauch weltweit. Da liegen wir so bei 20 Prozent der Kinder. Zum Teil betrifft es Mädchen und Jungen in gleicher Häufigkeit. Da gibt es noch Länderunterschiede. Aber das verlangt natürlich, dass alle Kräfte der Gesellschaft sich beteiligen an präventiven Maßnahmen. Und hier, würde ich schon sagen, sind einige in ihren Möglichkeiten bei weitem noch nicht so sichtbar, wie man sich das erhoffen würde. Damit meine ich zum Beispiel Unterstützung durch die pharmazeutische Industrie, was die Bereitstellung von Medikamenten betrifft, die man entwickeln könnte, wenn man wollte. Ich meine die Provider wie Facebook, Google und andere Anbieter, die hervorragende Möglichkeiten hätten, um zum Beispiel die Präventionsprojekte zu bewerben, aber auch die Möglichkeit hätten, gezielt das Problem des Cyber-Groomings, also des Anbahnens von Kontakten im Internet einzudämmen. Und letztlich perspektivisch der Wunsch, dass die Gesellschaft möglichst in allen Ländern sich aufschließen lässt für Präventionsmaßnahmen, die auch von der Gesellschaft gezahlt werden müssten, also von der Solidargemeinschaft. In dem Wissen, dass die Pädophilie eben eine Störung ist, die von der Weltgesundheitsorganisation als solche anerkannt ist, dass man die behandeln sollte und denjenigen, die sich behandeln lassen möchten und damit auch Verantwortung übernehmen für ihre Problematik, von der Gemeinschaft aus Unterstützung geben sollte und sie integrieren sollte. Das ist die beste Möglichkeit zu verhindern, dass sie Übergriffe begehen oder Missbrauchsabbildungen nutzen.
Das war die erste Folge des Podcasts Kein Täter werden. Auf Wiederhören.